Wir1 dehnen den Begriff „spätes Frühstück“ heute selbst für Berliner Verhältnisse recht stark. Aber das liegt nicht an uns, sondern an dem Lokal im Bötzowviertel unweit der Greifswalder Straße, dessen Speisen wir zu verköstigen beabsichtigten. Denn vor 18 Uhr lassen die niemanden rein.
Das Publikum ist gemischt, ob des Preisniveaus ist die Wahrscheinlichkeit, hier lautstark schwatzende Backfisch-Rudel auf Abireise anzutreffen, jedoch eher gering. Die Parkplatzsituation für etwaig zur Anreise benutzte Benzinkutschen ist etwas prekär. Wer sich den obligatorischen Autofahrergruß durch drängelige Verkehrsteilnehmer beim Einparken sparen will, kommt besser zweirädrig oder mit den Öffentlichen. Eine andere Variante ist ein Spaziergang vom nahegelegenen Volkspark Friedrichshain, wo man sein Auto abstellen kann.
Im „Alt Wien“ waren wir in größeren Abständen schon mehrfach, wenn uns der Sinn nach Deftigem aus Österreich stand. Heute wurden wir allerdings nach dem Aussuchen der Vorspeisen überrascht, nämlich mit einem unangekündigten Korb aus drei verschiedenen Sorten frischem Brot, der so manchen Standard-Frühstücksschuppen neidisch werden ließe:
Der Brotkorb im „Alt Wien“ (gab es einfach dazu).
Geliefert wurde das Brot zeitgleich mit den zuvor gewählten Vorspeisen: eine Suppe und etwas, was auf der Rechnung später als Salat firmierte, aber in Wahrheit keiner war.
Alles, was Mohrrüben ähnelt, kann 46halbe begeistern. So war es nicht schwer, aus dem Vorspeisen-Angebot trotz beginnenden Frühlings die Suppe aus Wintergemüse herauszupicken. Sie kam allerdings nicht dampfend heiß, sondern eher warm an den Tisch:
Als Vorspeise die „Pastinakensuppe“: 5,80 €.
Die vegetarische Suppe mit etwas Kernöl schmeckte dennoch köstlich. Pastinaken gelten übrigens als wiederentdeckte alte Gemüseart, das allerdings schon seit einigen Jahren. In Berlin bekommt man das Gemüse öfter angeboten, ob das auch für Wien gilt, wissen wir aber nicht.
Was die dazu gereichten Getränke im „Alt Wien“ anging, suchten wir diesmal wirklich nichts Außergewöhnliches, nicht einmal was mit Alkohol. Stattdessen gab es Wasser und trüben Apfelsaft:
Wasser, 0,75 l: 5,40 €, Apfelsaft, 0,25 l: 2,60 €.
Vorab orderte Herr Vroomfondel einen Bradl-Teller, benannt nach Ottakring bei Wien: Den Feldsalat darauf beschrieb er als angenehm frisch, die Meerrettich-Menge wäre mit ausreichend noch eine Untertreibung gewesen. Allerdings war der wirklich scharfe Meerrettich das einzige, von dem am Ende bedingt durch mangelndes Meerrettich-Training auf dem ansonsten leeren Teller noch etwas zurückblieb. Prompt merkte die Bedienung dies kritisch an.
„Ottakringer Bradl-Teller“ für 9,80 €.
Neben den erwähnten Beilagen bestand das einstimmende Bradl-Mahl aber eigentlich aus kaltem Schweinsbraten mit einer Kren-Mayonnaise und dem schon erwähnten sehr reichlichen und sehr frischen Meerrettich. Die Interpretation des Themas „Salat“ als Schweinebraten-Aufschnitt mit etwas Feldsalat passte sehr gut zu Herrn Vroomfondels Hungerstatus.
An den Vorspeisen hatten wir insgesamt nichts zu meckern. Ohne Hast, aber auch ohne langes Warten stand wenig später das Hauptgericht vor Herrn Vroomfondel. Um es gleich vorwegzunehmen: Es sollte ihn ringsum zufrieden machen, nur den mitgelieferten kleinen Salat ließ er unberührt – er hatte ja schon einen verzehrt.
Roulade: 19,80 €.
Die Roulade des „Alt Wien“ nannte Herr Vroomfondel schmackhaft, der Kartoffelbrei bekam gar das Prädikat perfekt. Einzige Kritik an dem Gericht war die Bemerkung, es sei ein klitzekleines bisschen zu salzig gewesen. Was wir zu schätzen wussten: Die Teller blieben nach dem Verzehr nicht lange stehen, denn die Bedienung war nicht nur allseits freundlich, sondern auch aufmerksam.
Als Hauptgericht hatte sich 46halbe für Geschnetzeltes vom Kalb entschieden:
Kalbsgeschnetzeltes: 18,50 €.
Das Gericht hatte 46halbe abweichend von der Karte nicht mit Semmelknödel, sondern mit Bratkartoffeln bestellt. Das stellte sich als gute Idee heraus: Es schmeckte ausgewogen, aber überhaupt nicht langweilig. Das lag auch am mitgelieferten Salat, der frisch, abwechslungsreich und in ausreichender Menge kam. Anders als bei vielen Speisen dieser Art lag das Essen auch nicht schwer im Magen, sondern hatte eine gewisse Leichtigkeit.
Dennoch musste danach Verdauungskoffein in Form von Espresso her, die jeweils mit Leitungswasser serviert wurden:
Espresso: je 2,- €.
Wir befanden die Kaffeegetränke als qualitativ gut, aber nicht als hervorragend. Im Gegensatz zur um sich greifenden Degeneration der Espressokultur in anderen Etablissements waren die Tassen gut vorgeheizt und wurden mit einem Grinsekeks2 serviert. Sie rundeten den Abend wunderbar ab. Mit einer Rechnung von zusammen 65,90 Euro ohne Trinkgeld waren wir zwar nicht eben billig, aber doch akzeptabel weggekommen, wenn man die Qualität, Darbietung und Menge der Speisen betrachtet.
Hingehen sollten alle, die wie wir das Ambiente eines klassischen Wirtshauses mögen, die ordentlich Hunger haben und österreichische Kochkunst goutieren. Auch Vegetarier werden in der Speisekarte gebührend berücksichtigt.
Alt Wien
Hufelandstraße 22, 10407 Berlin
Tel. (030) 701 296 10
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