Der „White Lion“ ist malerisch in der Fußgängerzone in der James Street gelegen und lädt mit seiner viktorianischen Fassade vorbeischlendernde Touristen zum Verbleib ein. Im Innern erwartete uns1 eine klassische Pub-Atmosphäre und ein Wirt mit dem höflichen Hinweis, das Frühstück doch im Oberstübchen einzunehmen. Nach Erklimmen der Treppe und dem Aussuchen einer gemütlichen Ecke in dem doch deutlich kompakt eingerichteten Flair belohnte uns der folgende Anblick für die Mühen.
Der White Lion von innen.
Wer es anhand des Fotos noch nicht erraten hat: Wir sind also in London. Ja, natürlich, das hier ist ein Blog über Frühstücken in Berlin, aber die Zeiten ändern sich. Nicht etwa in der Hinsicht, daß man für einen Stundenlohn nach London fliegen kann. Das geht schon lange, ist wegen der Einreiseprozeduren jedoch kaum mehr erträglich. Da aber billiges Fliegen seinem Ende entgegensieht, ist das London-Frühstück eine Art Reminiszenz an Zeiten, die vorbei sind wie die vergilbten sepiafarbenen Erinnerungen an Zuckertüten und Schulranzen.
Fanny wählte sich aus dem erlesenen Speisenangebot die „eggs benedict“ für £4,75. Voller Vorfreude erblickte sie mit staunenden Augen und wäßrigem Mund eine Augenweide von einem befüllten Teller, den ihr die freundliche, blonde und großgewachsene Kellnerin reichte. Ein Meer von Sauce Hollandaise oder auch Béchamelsauce – da ist sich die Frühstückerin uneins – ergoß sich über den Teller. Assoziationsreich zeichneten sich die pochierten Eier – zwei an der Zahl – unter der hauchzarten Pelle der Sauce ab.
Eggs benedict für £4,75
Erwartungsgemäß dauerte das Abschöpfen der Sauce etwas, bis die ersten festen Bestandteile dieses Frühstücks zum Vorschein kamen. Die Eier lagen gebettet auf rosé gewelltem Schinken, der sich an englische Muffins anschmiegte, die wohl aus Zeitmangel nur kurz beim Toaster vorbeischauen konnten. Ein Gaumenfeuerwerk war der Haps von der perfekten Gabel, die alle Zutaten des Frühstücks enthielt. Nach ein paar Schlucken des „Pot of Tea“ (£1,35) verschlang die unsterblich in die englische „Frühstückskultur“ verliebte Fanny den Rest ihrer Eier und ließ es sich nicht nehmen, die übriggebliebenen Saucenreste mit dem schlabbrigen Toast (dazu später mehr) von erdgeist aufzunehmen und genüßlich in die Sauce zu tunken und zu warten, bis das Brot sich ganz und gar mit der Sauce aufsaugte. erdgeist hingegen probierte nur eine Gabelspitze der Sauce und verschmähte den Rest der „eggs benedict“.
Einem akuten Eiweißmangeln folgend orderte erdgeist zu seinem Latte Macchiato (£1,75) das „traditional breakfast“ für £4,95, ergänzt mit kohlenhydratgeladenen Waffeln an Ahornsirup und Bananen (£2,95). Erstaunlicherweise interpretierte die Bedienkraft die Bestellung als eine Art „Englisches Frühstück“, und als dieses nach mehreren gefühlten Wochen des Hungers eintraf, war unsere ganze Phantasie vonnöten, eine Interpretation der Einzelteile zu finden:
Das Traditionelle Frühstück für £4,95 mit „waffles with maple syrup & banana“ für £2,95. Wahrscheinlich nur von unerfahrenen Touristen genommen.
Die größte Herausforderung bestand in der Zuordnung des schwarzen – an verrottende Meerestiere erinnernden – Krustengnubbels, der sich nach Konsultation mehrerer pflanzenkundlicher Lexika als verbratener Champignon herausstellte. Unauffällig wurde er auf Fannys Teller bugsiert. Fanny konnte trotz des heruntergekommenen Äußeren eine gewisse Saftigkeit feststellen.
Während die zu den „eggs benedict“ gereichten Muffins wenigstens den Toaster noch aus der Ferne zu sehen bekamen, waren in erdgeists Frühstück die „Toasts“ nur höflich als komplett wärmeunbehandelte Weißbrotschlabber zu bezeichnen. Der sich an den Würstchen abzeichnende tiefschwarze Rand setzte sich (wie auch bei der Tomate) um die ganze untere Seite fort, die Spiegeleier waren ungesalzen und nicht durchgebraten, die Schinkenscheibchen wohl nur für ein winziges Sekündchen in die Mikrowelle geworfen worden.
Da die Butter auf dem warmen Teller neben warmer Tomate und heißer Wurst kredenzt wurde, hätte erdgeist sie auch trinken können. Einzig die „baked beans“ aus der Dose hielten, was Dosenbohnen eben so versprechen. Das Waffeldessert schließlich konnte den gepeinigten Gaumen kurzfristig immer wieder aus dem geschmacklichen Tiefdruckgebiet reißen. Alles in allem keine Empfehlung für kontinental verwöhnte Genießer.
Hingehen sollten alle, die hungrig aus der „tube“ stolpern und nicht aus Furcht den nächstbesten „McDonald’s“ ansteuern wollen, sondern mit dem Enthusiasmus einer frisch gegründeten „Jugend forscht“-Gruppe etwas wahrlich Englisches erleben wollen, wovon noch Jahrzehnte später den Urenkeln im Ohrensessel berichtet werden kann.
Nicht hingehen sollten alle, die hoffen, in dem hier angebotenen „traditional breakfast“ eine Englische Eßkultur zu entdecken – denen sei das Marx am Spreewaldplatz in Kreuzberg ans Herz gelegt.
The White Lion, 24 James Street, Strand, London, WC2E 8NS
Tel: +44 0872 148 2441
- Das Frühstückskorrespondententeam setzte sich diesmal aus erdgeist und Fanny zusammen. [↩]